Zwangsstörungen :

Bei den Zwangsgedanken kommt es in permanenter Wiederholung zu Gedanken, Vorstellungen, Impulsen, Zweifeln, die als fremd und irrational erlebt werden und willentlich nicht "abgestellt" werden können. In ihrem Fehlen nachvollziehbarer logischer Erklärung nehmen sie quälenden Charakter an und können in ihrem Ausmaß das gesamte Denkspektrum besetzen.  Meist bringen solche Gedanken ein hohes Maß an Scham mit sich, so dass der Betroffene diese Störung lange verheimlicht und sich sehr schwer damit tut, sich einem Arzt / Therapeuten zu offenbaren, um nicht als "verrückt" zu gelten.  Die immer wiederkehrenden gedanklichen Impulse haben oft bedrohlichen Charakter mit der "Eingebung", einem anderen Menschen Schaden zuzufügen, ein Unheil auszulösen und gehen mit einem hohen Angst- und Spannungspotential einher. An diese Ängste koppeln sich rituelle Vorstellungen, die in ihrer Intensität stärker sind als die Logik, die man entgegenzusetzen versucht. Nach meist schleichendem Beginn mit längerer Kompensationsphase tendieren diese Zwangsgedanken zur Zunahme an Intensität und Frequenz und stellen eine sehr belastende Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit dar.

Die Zwangshandlungen, die meist mit den Zwangsgedanken kombiniert sind, stellen Aktionen dar, die – ebenfalls als unsinnig und fremd erlebt – immer wieder durchgeführt werden müssen, wobei vor allem Kontrollzwänge, Ordnungszwänge und Waschzwänge ein solches Ausmaß annehmen können, dass eine berufliche Tätigkeit oder eine sinnvolle Entfaltung des Privatlebens nicht mehr möglich sind.

 Der Ablauf einer Zwangsstörung stellt sich i. A. so dar, dass ein irrationaler sich oft wiederholender Gedanke, eine Vorstellung, ein Zweifel Unruhe und Angst auslöst mit einem inneren Befehl, jetzt eine bestimmte Handlung (Waschen, Kontrollieren) auszuführen, dies oft in vielfacher völlig unsinniger Wiederholung.

Setzt der Betroffene nun seine Logik gegen den Zwang und versucht, die sinnlose und überflüssige Handlung zu unterlassen, steigert sich die innere Angst bis zur Erwartung einer Katastrophe ins Unerträgliche und lässt erst nach, wenn die Handlung vollzogen wurde.  Mit der Angstlösung stellt sich dann oft ein Gefühl der Erschöpfung ein, meist mit einer depressiven Verstimmtheit einhergehend.

Bei vielen Betroffenen bekommen die Zwangshandlungen einen rituellen Charakter und  dienen der Abwehr einer Gefahr oder der Verhinderung einer Katastrophe, deren Erwartung den Zwangsgedanken entsprungen ist und einer rationalen Grundlage entbehrt. Durchgehend leiden die Betroffenen unter dem Gefühl, diesen Mächten hilflos ausgeliefert zu sein und die Kontrolle über ihre Lebensgestaltung verloren zu haben.

 

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Allgemeines

 

Die Zwangskrankheit tritt bei fast 2 % der Bevölkerung auf und auf und bildet die vierthäufigste psychische Erkrankung.  Das Manifestationsalter liegt meist vor dem 20. Lebensjahr, bei vielen Patienten bis in die Kindheit zurückreichend.  Eine familiäre Belastung ist nachgewiesen – bei Angehörigen zwangskranker Familien steigt der Prozentsatz auf  18 %.

Obwohl ein erheblicher Teil der Energie aufgewandt werden muss, um die Störung zu verbergen und den beruflichen und sozialen Verpflichtungen nachzukommen führt die  Scham vor dieser Erkrankung und die Unkenntnis, dass es sich bei den quälenden Symptomen nicht um eine "Marotte" sondern um eine therapierbare Krankheit handelt,  nur 5 % der Betroffenen in die Behandlung.

Der Verlauf einer Zwangsstörung hat meist einen wellenförmigen Charakter mit nahezu freien Intervallen und schweren Krankheitsepisoden. Starke psychosoziale Belastungen werden oft als Auslöser geltend gemacht, sind aber nicht immer nachvollziehbar. Sicher ist, dass alle Konfrontationen mit Stress jeglicher Art zu einer Zunahme der Intensität und Frequenz der Störung führt.

Die Zwangsstörung wird in der psychiatrischen Diagnostik den Angststörungen zugeordnet, weil die Ängste ein zentrales Erleben bei dieser Krankheit darstellen können. Wenn auch eine Verwandtschaft dieser Krankheitsbilder zweifellos besteht lassen neuere Forschungsergebnisse die Zwangsstörung als eigenes Krankheitsbild definieren, das auch mit anderen psychischen Störungen verbunden ist.  Ein Drittel der Zwangspatienten leidet zusätzlich an Angststörungen, zwei Drittel an Depressionen. Bei Patienten, die an einer Schizophrenie erkranken, beobachtet man im Vorfeld der Psychose in bis zu 10 % Zwangsphänomene.  Des weiteren treten Zwänge auf bei bestimmten Erkrankungen oder Verletzungen in bestimmten Hirnregionen, den  Basalganglien.

 

 

Ursachen

 

Durch die Ergebnisse der neurobiologischen Forschung sind die psychoanalytischem Modelle der Entstehung einer Zwangsstörung  weitgehend verlassen worden.

Aus lerntheoretischer Sicht bilden Zwangshandlungen erlernte Rituale zur Senkung unerträglicher Konflikte, wobei die Zwangsgedanken als Störung einer Filterfunktion interpretiert werden.  Die extrem fokussierte Aufmerksamkeit auf Irrationales, die erhöhte Irritabilität und der Verlust von  sinnvollem, kontextgesteuerten Verhalten deuten auf eine Störung der Informationsverarbeitung hin.

Die Ergebnisse der neurobiologischen Forschung zeigen, dass den Zwängen eine Störung im Haushalt der Neurotransmitter, der hirneigenen Botenstoffe, zugrund liegt. Der Schwerpunkt der Fehlregulation ist im Stoffwechsel des Serotonins zu sehen, wobei jedoch auch andere Transmitter, z.B. das Dopamin mit involviert sind, sekundär dann auch die Stresshormone (Nor-) Adrenalin und Cortisol.  Über bildgebende Verfahren mit Messung von Stoffwechselvorgängen im Gehirn lässt sich darstellen, dass die Informationsverarbeitung verschiedener Hirnareale und –zentren nicht mehr regulär abläuft und mit einer Störung der selektiven Aufmerksamkeit die Zwangsphänomene in den Vordergrund des psychischen Erlebens treten.

 

Therapie

 

Während bei einer psychoanalytischen Behandlung kaum Behandlungserfolge zu verzeichnen sind bietet die Verhaltenstherapie probate Therapietechniken, die bei der Bewältigung der Störung eingesetzt werden. In der unmittelbaren Konfrontation mit den Zwängen, der Exposition in vivo muss sich der Betroffene mit therapeutischer Hilfe den Zwängen aussetzten, gestützt durch den Therapeuten die Gefühle von Unbehagen, Angst, Unruhe so lange aushalten, bis der Spannungspegel abklingt.  Die Gedankenketten, in denen sich der krankhafte Zustand aufschaukelt, können so entschärft werden – die Zwangshandlungen werden abgebaut.  Mit dieser Technik der Reaktionsverhinderung gewinnt der Patient wieder zunehmend Kontrolle über sich selbst.

Die Sitzungen selbst können mehrere Stunden dauern und sollten so lange durchgeführt werden, bis der Spannungsabbau gelungen ist  Ebenso wichtig ist ein intensives, mit dem Therapeuten genau zu definierendes häusliches Expositionsprogramm, um so durch ein Selbstmanagement das Alltagsleber wieder selbstbestimmt in den Griff zu bekommen.

 

In den meisten Fällen ist es notwendig, die Verhaltenstherapie mit einer Psychopharmakotherapie zu kombinieren.     Die Zwangskrankeit zeigt ihr biologisches Korrelat vor allem im Stoffwechsel des Serotonins, in manchen Fällen auch des Dopamins.

Die zur Behandlung verfügbaren Medikamente gehören in die Gruppe der Antidepressiva und

bringen außer tolerablen Nebenwirkungen in den ersten Tagen der Einnahme keine Risiken mit sich, schränken die Alltagsaktivitäten nicht ein und machen nicht abhängig.

Die Behandlung muss ausreichend lange erfolgen und sollte nicht plötzlich abgesetzt sondern langsam ausgeschlichen werden, da sonst ein Rückfall in die Zwänge zu erwarten ist.