Die Depression - eine Krankheit
Bei der Depression handelt es sich um eine schwere Erkrankung, die das Gemüt und den Körper erfasst und die der Betroffene willentlich nicht beeinflussen kann. Weltweit erkranken 7-10 % aller Menschen an diesem Leiden, das in jedem Lebensabschnitt einsetzen und sich auf unterschiedlichste Art bemerkbar machen kann.
Die Krankheit tritt auf unabhängig von der Intelligenz, der Tatkraft, der Willensstärke oder Begabung und kann jeden Menschen befallen. Sie darf nicht verwechselt werden mit einer deprimierten Stimmung nach einem traurigen Ereignis und tritt für den Betroffenen und sein Umfeld meist unerklärlich auf mit erheblichen Folgen für das körperliche und seelische Befinden und die allgemeine Leistungsfähigkeit.
Die körperlichen Symptome
Mit der Depression einher geht eine Vielzahl körperlicher Beschwerden, die oft mit medizinischen Methoden schlecht zu erfassen sind, d.h., der Erkrankte leidet an vielfältigen Organbeschwerden oder Schmerzen, obwohl die Organe regelrecht funktionieren und viele auf die körperlichen Symptome abgestimmte Medikamente keine Linderung verschaffen.
Fast immer klagen depressive
Patienten über Abgeschlagenheit, Muskelverspannungen, Schwäche, Druck auf
der Brust mit Enge im Hals, Kopfschmerzen, dumpfe Kribbelgefühle im ganzen
Körper, kalte Hände und Füße, Appetitmangel, sexuelles Desinteresse.
In typischer Weise ist der Schlaf gestört - die Einschlafphase wird mit
quälendem Grübeln unendlich lang, die Schlafdauer verkürzt sich, so dass
auch die frühen Morgenstunden zur Qual werden. In diesen Nachtstunden
werden die körperlichen Symptome besonders intensiv erlebt und begleitet
von Ängsten und dem Gefühl, der Krankheit hilflos ausgeliefert zu sein.
Der Tag beginnt dann mit einem Gefühl völliger Antriebslosigkeit - schon
die kleinsten Aufgaben werden zu unüberwindlichen Hinder- nissen mit dem
paradoxen Gefühl, keinen Antrieb zu haben und den- noch unter einer
unerträglichen angstvollen Spannung zu stehen.
Die psychischen Symptome
Im Vordergrund der Befindlichkeit steht der völlige Verlust von Interesse und Lebensfreude mit dem Bewusstsein eigener Schuld und Minderwertigkeit und der Unfähigkeit, frohe oder positive Gedanken oder Gefühle zu haben. Die innere Erlebniswelt kann von abgrundtiefer Traurigkeit mit unmotiviertem nicht erleichterndem Weinen durchzogen sein oder friert regelrecht ein, so dass Gefühle nicht mehr greifbar werden. Verzagtheit, Resignation und eine unerklärlich eine innere Angst herrschen vor und entziehen sich jeder Erklärung, stellen sich aber oft in allen möglichen körperlichen Krankheitssymptomen dar.
Gleichzeitig kommt es zum Verlust emotionaler Beziehung zu Mitmenschen mit dem angstvollen Registrieren einer zunehmenden Distanz zu den Bezugspersonen.
Die gesamte Umwelt wird wie durch eine graue Brille gesehen, hat alle Farben verloren und kann mit den gesamten negativen Gefühlen und Gedanken das Leben so unerträglich machen, dass der Freitod sich als einzige Möglichkeit anbietet, die Qual zu beenden und den anderen nicht mehr zur Last zu fallen.
Diese Todessehnsucht ist so furchtbar für den Betroffenen, weil er sich aus religiöser Überzeugung damit versündigt und es zumeist nicht wagt, sich jemand mit diesen schrecklichen Gedanken anzuvertrauen. Dabei sind diese Gedanken nichts anderes als ein Symptom der Depression - ein Symptom, das mit der Heilung eine wieder positive Einstellung zum Leben mit sich bringt.
Biologie der Depression
Die Depression ist eine Erkrankung bestimmter Hirnzentren, in denen die Gefühle, Erwartungen, viele Körperfunktionen entstehen oder gesteuert werden. Für ein regelrechtes Funktionieren, d.h. für einen körperlich und seelisch gesunden Zustand, ist ein sehr kompliziertes Gleichgewicht bestimmter Botenstoffe erforderlich, die die Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen bewirken.
Bestimmte Störungen dieses Gleichgewichts führen zu einer erheblichen Auswirkung auf das gesamte psychische und körperliche Befinden, heben den biologischen Schlafrhythmus auf, können den Impuls zur Selbsttötung auslösen.
Lang anhaltende vor allem mit Schmerzen einhergehende körperliche Erkrankungen, langfristige oder wiederholte unlös- bare Belastungssituationen wirken als Stressoren, d.h., über einen langen Zeitraum werden vom Körper bestimmte Stress- hormone in einem Übermaß produziert, die ihrerseits das empfindliche Gleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn stören und eine Depression auslösen können.
Während die medikamentösen Behandlungen versuchen, das Gleichgewicht der Botenstoffe wiederherzustellen, liegen der Störung wesentlich komplizierte Vorgänge zugrunde, die mit Eiweiss-Synthesen im Gehirn, genetischen Zellveränderungen, Aktivierungen und Modulationen von sogenannten Neuronalen Netzwerken und Zellneubildungen zusammenhängen.
Warum kommen Depressionen in Familien gehäuft vor und warum erkranken
nicht alle Angehörigen? Ist die Depression erblich ?
Familienstudien zeigen, dass die Veranlagung zur Depression durchaus erblich ist, die Krankheit jedoch nicht ausbrechen muss - es handelt sich nicht um eine Erbkrankheit, die mit einer eigenen Gesetzmäßigkeit auftritt. Die Veranlagung besagt, dass viele Menschen empfindlichere, weniger belastbare Strukturen im Gehirn besitzen, deren kompliziertes Gleichgewicht bei längeren und erheblichen Belastungen zusammenbricht.
Typisch für diese Belastungsmomente ist, dass der Betroffene sich hilflos ausgeliefert fühlt und oft jahrelang einen ver- zweifelten aber erfolglosen Kampf führt - so in permanentem Stress lebt. Menschen, die entsprechende Hirnstrukturen mit großer Belastbarkeit u. Reservekapazität aufweisen, werden u.U. trotz vieler extremer Belastungen nicht depressiv. Treffen solche negativen Lebensereignisse aber auf einen Menschen mit depressiver Veranlagung wird dies den Ausbruch der Krankheit begünstigen. Insbesondere die Konfrontation mit anhaltender Hilflosigkeit gegenüber belastenden Lebenssituationen kann als Auslöser der Depression angesehen werden und diese unterhalten.
Unter diesem Aspekt kann die Depression auch als eine Verarbeitungsstörung bezüglich belastender Lebenserinnerungen aufgefasst werden.
Hierzu gehören insbesondere emotionale Vernachlässigungen und / oder Konfrontation mit verbaler oder körperlicher Gewalt in der Kindheit, elterliche Ablehnung, zu frühe Erwachsenenverantwortung, Verluste von Bezugspersonen, Erniedrigungen etc. Diese traumatischen Erinnerungen bleiben in dem für das Hier und Jetzt zuständige Gedächtnis (implizites Gedächtnis) gespeichert und werden unbewusst immer wieder aktiviert. Über spezifische Verfahren der Psychotherapie können diese die Depression bedingenden und unterhaltenden Erinnerungen so bearbeitet werden, dass ihre Auswirkung auf die Psyche nicht mehr zum Tragen kommen.
Die Behandlung der Depression
Wie dargestellt geht die Depression einher mit einer Störung im Gleichgewicht hirneigener Botenstoffe, der Neurotransmitter.
Eine sinnvolle Behandlung wird also darauf abzielen, dieses natürliche Gleichgewicht wiederherzustellen, um so die körperlichen und seelischen Symptome zu beseitigen - das Wohlbefinden zurückzubringen.
Die Medikamente, die so regulierend den Hirnstoffwechsel beeinflussen, heißen Antidepressiva.
Aus der großen Gruppe dieser in sich unterschiedlichen Medikamente wird Ihr Arzt das Medikament auswählen, das für Ihre Depression besonders geeignet ist und das Ihnen am besten bekommt. Da aber Angst, Unsicherheit, Verzagtheit Bestandteile einer Depression sind, übertragen sich viele unsinnige Befürchtungen auf die Behandlung und erschweren die notwendige Hilfe.
Ein weit verbreiteter Vorbehalt ist die Angst vor einer Medikamentenabhängigkeit. Antidepressiva machen jedoch nicht abhängig, auch nicht nach einer langen Zeit der Einnahme.
Auch die Befürchtung, daß Antidepressiva die Persönlichkeit verändern, ist haltlos - die Persönlichkeit verändert sich mit der Depression und die Medikamente helfen, den Weg zur ursprünglichen Persönlichkeit zurückzufinden. Viele Patienten befürchten schlimme Nebenwirkungen und sehen sich in der Lektüre der Packungsbeilage bestätigt, wissen dabei nicht, dass diese Beilage mehr einem juristischen als einem medizinischen Zweck dient und alle theoretisch nur denkbaren und in Einzelfällen extrem seltenen Beobachtungen auflistet. Die Nebenwirkungen, die häufiger auftreten, sind i.A. harmloser Art und der Arzt wird die Mittel, die für seinen Patienten gefährlich sein können, nicht verschreiben sondern ein geeigneteres Präparat auswählen.
Kommt es mit der Einnahme wirklich zu den meist ungefährlichen Begleiterscheinungen, so klingen diese fast immer in kurzer Zeit ab oder müssen und können zugunsten der zu erwartenden Heilung toleriert werden.
Auf keinen Fall sollte der Patient eigenmächtig die Medikation ändern oder aussetzen, da die komplizierten biochemischen Abläufe von einem Laien nicht beurteilt und verantwortet werden können
Für die Auswahl des Medikamentes, seine Dosierung, die Dauer der Behandlung trägt allein der behandelnde Arzt die Verantwortung, die ihm auch ein wohlmeinender aber unkundiger Angehöriger nicht abnehmen kann.
Die medikamentöse Behandlung der Depression erfordert vom Patienten wie vom Arzt ein großes Maß an Geduld. Antidepressiva brauchen Zeit zum Wirken und es dauert meist 15 - 20 Tage, in denen man lästige Begleiterscheinungen spürt, die Linderung der Beschwerden jedoch auf sich warten lässt. Auch ist nicht garantiert, dass bereits das erste Medikament wirklich hilft - zu unterschiedlich sind die einzelnen Stoffwechselstörungen und die jeweils darauf abzustimmenden Medikamente. Eine wissenschaftliche Methode zur Vorausbestimmung der Wirksamkeit eines Präparates steht nicht zur Verfügung. Wenn nach ca. 4 Wochen eine Besserung nicht in Sicht ist wird der Arzt ein anderes Medikament auswählen, das dann in mit einem anderen Wirkmechanismus eher Hilfe verspricht.
In jedem Fall jedoch muss die Behandlung ausreichend lange durchgeführt werden und darf vom Patienten auf keinen Fall plötzlich beendet werden, wenn er sich wieder wohl fühlt. Ein Rückfall ist dann in den meisten Fällen unvermeidlich. Die Medikation muss über Wochen und Monate langsam reduziert werden.
Da ja die Veranlagung zur Depression bleibt, den Betroffenen also sein Leben lang begleitet, empfiehlt sich mitunter auch eine niedrig dosierte Dauerbehandlung, vor allem, wenn in der Vorgeschichte schon mehrere Depressionen aufgetreten sind oder es sich um einen älteren Patienten handelt. Das Ziel der Behandlung ist es dann, weiteren Rückfällen schützend vorzubeugen und nicht erst abzuwarten, bis der Patient wieder in eine neue ihn quälende depressive Phase abgleitet.
Dies ist umso wichtiger, als dass wir heute davon ausgehen, dass mit jeder neuen depressiven Phase die Rückfallgefahr in der Frequenz und Intensität zunimmt.
In einer bestimmten Hirnregion ( dem Hippocampus) werden täglich eine Vielzahl von Nervenzellen neu gebildet, die zu ihren Bestimmungsorten auswandern und sich in neuronale Netzwerke einfügen. Im Rahmen der der Depression ist diese
Zellneubildung reduziert bis aufgehoben - unter der Therapie mit Antidepressiva normalisiert sich dieser Mechanismus wieder. So erklärt sich auch die Zeitspanne zwischen der ersten Medikamenteneinnahme und dem Einsetzen der Wirkung, da es sich um einen regenerativen Vorgang handelt, der Zeit benötigt.
Psychotherapie :
Da die Depressionen in den meisten Fällen durch belastende Ereignisse und deren gespeicherte Erinnerungen ausgelöst oder unterhalten werden sollten diese Faktoren im Rahmen einer Psychotherapie Beachtung finden. Auch die Psychotherapie führt nachweislich zu einer Veränderung der Botenstoffe und der neuronalen Netzwerke, kann also gewisse Auswirkungen traumatisierender Ereignisse zu Gunsten einer psychischen Stabilität beeinflussen. Gerade in der Rückfallprophylaxe ist eine Therapie von besonderer Bedeutung, während bei schweren und mittelschweren Depressionen die Kombination einer medikamentösen UND psychotherapeutischen Behandlung sinnvoll ist.
Die verschiedenen Therapieverfahren gehen von unterschiedlichen Prämissen aus, haben jedoch eine gemeinsame Zielsetzung: die belastenden Erinnerungen / Traumata, die sich daraus ableitenden Verhaltens- und Denkmuster müssen bearbeitet und korrigiert werden, um Wege aus der Hilflosigkeit zu finden. Ihr Psychiater / Psychotherapeut wird mit Ihnen erörtern, welcher Weg für Sie der richtige sein wird.
Hinweise für Betroffene :
1. Sie leiden an einer schweren, Ihr körperliches und seelisches
Wohlbefinden beeinträchtigenden Krankheit, die mit einer Stoff-
wechselstörung im Gehirn einhergeht und die Sie mit Ihrem Willen
nicht beeinflussen können.
2. Es handelt sich um eine Krankheit wie jede andere, für die Sie
sich nicht schämen dürfen, an der Sie nicht schuld sind.
3. Diese Krankheit ist meist heilbar - es gibt Medikamente und
Psychotherapien, die Ihnen wieder zu Lebensfreude und Wohlbefinden
verhelfen können.
4. Sie sind mit dieser Krankheit nicht allein. Vertrauen Sie sich
Ihrem Arzt und Ihren Angehörigen an und sprechen Sie über alle
Sie belastenden Dinge - vor allem, wenn sich Ihnen Gedanken an
den Tod quälend aufdrängen.
5. Treffen Sie keine folgenschweren Entscheidungen im Zustand der
Depression - Sie sehen alles durch eine depressive Brille, die
Ihr Urteilsvermögen beeinträchtigt.
6. Lassen Sie die Frage der Medikation in den Händen Ihres Arztes.
Er allein hat das notwendige Fachwissen.
Hinweise für Angehörige :
1. Ihr Angehöriger braucht unendlich viel Geduld und Verständnis
in einer schweren Krankheit, die er selbst nicht versteht und
die unerklärlich scheint.
2. Die Depression macht es unmöglich, sich "zusammen zu reißen",
positive oder schöne Dinge zu sehen oder zu fühlen.
3. Bieten Sie Ihre Hilfe oder eine Aussprache an, wenn scheinbar
unlösbare Probleme Ihren Angehörigen belasten.
4. Suchen Sie mit Einverständnis Ihres Angehörigen das Gespräch
mit dem behandelnden Arzt, damit Sie wissen, wie Sie am besten
zu der Genesung beitragen können.
5. Ermutigen Sie den Betroffenen, die verordneten Medikamente
exakt einzunehmen und greifen Sie nicht in die Therapie ein.
6. Helfen Sie Ihrem Angehörigen, seine selbst gewählte soziale Isolation
zu durchbrechen und ermöglichen Sie ein Minimum verständnisvoller
Kontakte zu wichtigen Bezugspersonen.
Th. Gosciniak in : Gesund Werden, RSN-Verlag, Ottobrunn
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